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„Rein Positiv“ trainieren … geht das überhaupt?

Positive Trainingsmethoden beim Hundetraining sind ja voll im Trend. Allerdings stellt sich mir, wenn ich lese oder höhre, das „rein positiv“ trainiert wird, immer die Frage, wie das gehen soll. Wie soll ausschließlich positives Training denn in der Praxis aussehen, wenn man da zugrundelegt, was lt. Lerntheorie positives Hundetraining definiert.

Positives Hundetraining umfasst alle positiven Verstärker, das heißt du kannst im Training nur die positive Belohnung nutzen und musst auf die negative Strafe und natürlich auch auf positive Strafe und negative Belohnung komplett verzichten. Was bleibt ist also nur das, was allgemein als „Belohnung“ bezeichnet wird.

Ein Ausflug in die Lerntheorie

In der Lerntheorie unterscheidet man Verstärker und Strafen. Verstärker sind solche Konsequenzen des Verhaltens, die dafür sorgen, dass der Hund das Verhalten häufiger zeigt. Das ist das, was im Volksmund als „Belohnung“ bezeichnet wird. Trifft dies aber nicht ganz. Strafen sind hingegen Konsequenzen, die dafür sorgen, dass der Hund das Verhalten weniger häufig zeigt.

Darüber hinaus gibt es die Begriffe negativ und positiv. Diese beiden Begriffe beziehen ich auf ihre mathematische Bedeutung. „negativ“ bedeutet, es wird etwas entfernt, „positiv“ bedeutet, es wird etwas hinzugefügt.

Kombiniert gibt es also 4 Möglichkeiten:

Negative Belohnung: Sie liegt vor, wenn wir dem Hund etwas unangenehmes wegnehmen. So etwas wurde früher bspw. beim so genannten Zwangsapport gemacht. Der Hund wurde solange unter Druck gesetzt und ihm wurden solange Schmerzen zugefügt bis er den Apportiergegenstand gehalten hat. Das das tierschutzrelevant ist, muss glaube ich, keinem gesagt werden. Aber die negative Belohnung liegt natürlich auch schon dann vor, wenn ich im Leinenführigkeitstraining einfach stehen bleibe wenn die Leine stramm wird und da so lange stehen bleibe, bis der Hund selbst die Leine lockert. Auch wenn ich sie dann nicht gezielt einsetze, aber ich nutze sie im Training. Die negative Belohnung dient als Verstärker, verstärkt also erwünschtes Verhalten.

Negative Strafe: Bei der negativen Strafe entfernen wir etwas für den Hund angenehmes. Wir geben ihm also bspw. die angekündigte Belohnung nicht oder nehmen ihm Spielzeug oder Leckerchen wieder weg. Die negative Strafe fungiert über Frustration als „Strafe“ und sorgt dafür, dass das unerwünschte Verhalten seltener auftritt.

Positive Strafe: Bei der positiven Strafe fügen wir dem Hund in dem Moment etwas unangenehmes hinzu, indem er etwas unterwünschtes tut. Das kann ein Schlag sein, ein Schreckreiz aber auch ein Leinenruck oder ähnliches. Die positive Strafe ist eine Strafe.

Positive Belohnung: Bei der positiven Belohnung fügen wir unserem Hund etwas angenehmes hinzu, wenn er sich wie gewünscht verhält. Sie ist der klassische Verstärker und der einzige Verstärker der im rein positiven Training zum Einsatz kommt. Wir werden die positive Belohnung daher nachfolgend kurz als „Belohnung“ bezeichnen.

Strafe ist, was unser Hund als Strafe empfindet!

Und damit sind wir natürlich beim nächsten „Problem“. Wenn wir unseren Hund bestrafen oder belohnen möchten, dann müssen wir uns dabei danach richten, was unser Hund auch so empfindet. Wenn der eine Hund bei einer strammen Leine schon so eingeschüchtert ist, dass er nicht mehr weiter geht, empfindet dieser das sicherlich als Strafe. Dem nächsten Hund ist das vielleicht völlig egal. Für den ist eine stramme Leine dann sicher keine Strafe.

Gleiches gilt für Belohnungen. Wenn ich einem Hund der eigentlich nicht spielen mag, einen Ball schmeiße, wird er diesen vielleicht aus Pflichtgefühl holen. Aber hat er dann Spaß, ist es für ihn eine Belohnung? Nein sicher nicht, er wird dies im schlimmsten Fall schon als positive Strafe verstehen. Wenn ich einem Hund Futter gebe, der aber gar nicht fressen mag, ist auch das keine Belohnung.

Fazit: Wer „rein positiv“ trainieren will, muss sich vorab schon sehr genau orientieren, was für den einzelnen, individuellen Hund Strafe und was Belohnung ist. Und das bei jedem Hund, der zum Training kommt.

Dazu kommt dann noch, dass ich einem Hund, dem ich ein Spielzeug gebe, dieses auch irgendwann wieder wegnehmen muss, wenn das Training weiter gehen soll. Spätestens in diesem Moment liegt die negative Strafe vor, die mit Enttäuschung und Frust einhergeht. Beides ist vom Grunde her, mit positivem Training nicht zu vereinbaren. Genauso muss ich einem Hund den ich mit Futter belohnen möchte, natürlich erst mal in einen Zustand versetzen, in dem dieser Futter als Belohnung ansieht. Wenn ich einen Hund habe, der 24 Stunden am Tag Futter zur freien Verfügung hat, den kann ich in der Regel mit Futter nicht belohnen. Ich müsste also vorab seine Futterration einschränken, ihn bspw. ein paar Stunden vor dem Training nicht mehr füttern und so erst mal ein gewisses Hungergefühl erzeugen. Wenn ich dies bewusst machen muss, um überhaupt eine Futterbelohnung einsetzen zu können, wäre dies aber per Definition schon nicht mehr rein positiv.

Philosophische Betrachtung der Situation

Man kann diese Situation aus zwei Perspektiven betrachten:

  1. Ich füge dem Hund ein Hungergefühl hinzu (positive Strafe) um dieses dann durch Futter im Training zu entfernen (negative Belohnung) und erreiche so eine Verstärkung des erwünschten Verhaltens.
  2. Ich versetze den Hund in eine Verfassung, in der eine positive Belohnung mit Futter als Verstärker funktioniert. Da dieser Eingriff in das Wohlbefinden des Hundes aber eben nicht auf ein spezifisches Verhalten des Hundes bezogen ist, ist es lt. Lerntheorie keine Strafe. Dennoch nutze ich diesen Zustand dann im Training aus, um mittels Futterbelohnung zum einen diesen negativen Zustand zu verbessern (negative Belohnung) und gleichzeitig etwas positives hinzuzufügen (Futterbelohnung=positive Belohnung).

Egal welchen beiden Szenarien man jetzt den Vorzug gibt, sollte man sich überlegen, ob es denn, wenn man rein positiv trainieren möchte, ethisch zu vertreten ist, den Hund der bisher kein Hungergefühl kannte, jetzt in einen hungrigen Zustand zu versetzen. Anders natürlich bei einem Hund den man ohnehin nur einmal am Tag füttert. Für den gehört der Zustand mit leerem Magen ja zum „normalen Leben“ dazu.

Und dann bleibt noch die Frage, wie wir im „rein positiven“ Training mit unerwünschtem Verhalten umgehen? Dieser Frage gehen wir in einem separaten Beitrag nach: Der Umgang mit unerwünschtem Verhalten im „rein positiven“ Training

Fazit

Positiv trainieren ist eine gute Sache, aber „rein positiv“ ist in der Praxis nicht möglich. Wer das behauptet übersieht da grundlegende Aspekte der Lerntheorie oder verdrängt, was für Hunde Strafe und Belohnung ist.

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